Interview

ÖAMTC - Mobilität und Gastlichkeit im Chassis Im Gespräch mit Oliver Schmerold

Der ÖAMTC ist ein Inbegriff für Mobilität schlechthin. Geschäftsführer Oliver Schmerold über die Bedeutung von flexiblem Service, das Angebot von Pannenhilfe für Rollstuhlfahrer und Shared Mobility.

Begegnungen im Kaffeehaus

Michael Sicher: Der ÖAMTC – Österreichische Automobil-, Motorrad- und Touringclub  steht ja, wie der Name schon sagt, für Auto und Motorrad und trotzdem sind wir hier an deinem Lieblingsplatz in einem Café. Weshalb bist du so gerne hier?

Oliver Schmerold: Grundsätzlich ist ein Kaffeehaus ein toller Platz für Begegnungen und gleichzeitig ein Rückzugsort, um zu reflektieren oder Zeitung zu lesen. Für mich ist es immer eine gute Möglichkeit, außerhalb meines üblichen Arbeitsplatzes zu arbeiten. Zum Thema Auto und Motorrad: Ja, darin hat der ÖAMTC seine Wurzeln – aber am Ende des Tages geht es bei uns um das Mitglied und dessen Mobilität. Da ist das Auto genauso wichtig wie andere Fortbewegungsmittel.

Michael Sicher: Ich kann mich an eine Situation erinnern wo der Fahrtendienst seinen Schlüssel vergessen hat und ich, in der Kälte, im Auto festsaß. Dann kam der ÖAMTC und hat mich befreit, indem er das Auto aufgesperrt hat. Das Motto des ÖAMTC ist „Ein gutes Gefühl beim Club zu sein“ – was bedeutet für dich persönlich ein gutes Service?

Oliver Schmerold: Service oder Dienstleistung ist für mich die hohe Kunst in der Wirtschaft. Es geht darum, sehr flexibel zu sein und sich auf die individuelle Situation einzustellen und anzupassen. Der Mensch steht also im Mittelpunkt. Wir möchten unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern innerhalb gewisser Rahmenbedingungen genügend Freiraum lassen, damit sie situationsabhängig entscheiden können, wie weit sie in ihrer Dienstleistung gehen. Zuletzt habe ich mit einem Pannenfahrer in Salzburg gesprochen, der die Fahrzeug-Panne einer Familie nicht beheben konnte. Weil das Auto in die Werkstatt musste, hat er die Familie ins nächstgelegene Hotel gebracht und sie dort eingecheckt. Das hätte er nicht tun müssen – wenn er es sich zeitlich aber gut einteilen kann, erzeugt das beim Mitglied jedoch eine tiefe Verbundenheit. Das Abwägen, wie viele Vorgaben ich in eine Organisation bringen muss und wie viel Freiraum ich dem einzelnen Mitarbeiter lasse, ist somit die große Herausforderung. Bereits beim Einstellen neuer Mitarbeiter ist uns ganz wichtig, ob der neue Kollege auch menschlich zu uns passt und Freude daran hat, anderen etwas Gutes zu tun.

Michael Sicher: Freude im Leben ist etwas sehr wichtiges. Woran hast du Freude, was macht dir Spaß?

Oliver Schmerold: Meine größte Freude ist, wenn ich mit den Menschen meine Freizeit verbringen kann, die mir nahe stehen – am besten in Form einer gemeinsamen Aktivität. Ich bin wahnsinnig gerne in der Natur unterwegs. Meine Kinder meinen, sie hätten ein Trauma davongetragen, denn immer wenn ich mit ihnen einen kurzen Spaziergang machen wollte, hat es in einem mehrstündigen Marsch geendet. Mittlerweile können sie aber darüber lachen.

Mobilität als Grundrecht

Michael Sicher: Was bedeutet Mobilität für dich?

Oliver Schmerold: Mir ist erst im Zuge meiner Tätigkeit beim ÖAMTC so richtig bewusst geworden, welch enormen Stellenwert Mobilität im Leben eines jeden Menschen hat. Für mich gehört sie zu den Grundrechten und es zeichnet die Qualität einer Gesellschaft aus, wie mobil ihre Bürger sind. Auch um geistig mobil zu sein, braucht man Ortsveränderungen. Geistige und physische Mobilität bedingen einander. Darum finde ich es super, dass wir uns in unserem neuen Mobilitätszentrum mehr bewegen als früher. Das Haus lädt dazu ein, immer wieder andere Plätze aufzusuchen, neue Ideen zu generieren und sich geistig weiterzuentwickeln. Mobilität ist daher für mich wie Bildung, Gesundheit und soziale Einrichtungen ein ganz wesentliches Qualitätskriterium wie gut eine Gesellschaft funktioniert.

Michael Sicher: Womit bewegst du dich persönlich am liebsten fort?

Oliver Schmerold: Am liebsten bin ich am Fahrrad. Das ist für mich die ideale Kombination aus Technik und eigener körperlicher Fortbewegung. Ansonsten schätze ich es sehr, wenn ich viele Formen der Mobilität zur Verfügung habe. Seien es in Wien die öffentlichen Verkehrsmittel, aber auch das Leihrad, der E-Scooter. Oder bewusst auch einmal eine längere Strecke zu Fuß zu gehen – all diese Möglichkeiten nutze ich gerne.

Michael Sicher: Reisen bedingt auch Mobilität, wo zieht es dich da hin?

Oliver Schmerold: Da ich beruflich viel ins Ausland reise, bin ich privat gerne in Österreich unterwegs. Unser Land hat ja sehr viel zu bieten.

Wien abseits des Reiseführers

Michael Sicher: Was schätzt du an Wien besonders?

Oliver Schmerold: An Wien schätze ich die vielfältigen Möglichkeiten, die die Stadt bietet. Wir haben eine extrem hohe Lebensqualität und nicht die Verkehrsproblematik vieler anderer Großstädte. Wien hat ein gut funktionierendes öffentliches Verkehrsnetz, wir haben aber auch die Möglichkeit, uns individuell gut zu bewegen. Wir haben ein tolles Kulturangebot und vernünftige Lebenskosten in der Stadt. Das Einzige, was ich in Wien etwas vermisse, ist eine gewisse Großzügigkeit. Ich war beruflich oft in Paris – diese Stadt hat ein anderes Flair, eine andere Großzügigkeit mit all seinen großen Boulevards und Plätzen. Wien ist da manchmal etwas eng, die Lebensqualität und die Möglichkeiten sind aber absolut top.

Michael Sicher: Was zeigst du deinem Besuch aus dem Ausland?

Oliver Schmerold: Was ich immer gerne herzeige sind die Plätze, die nicht im Reiseführer stehen und wo man das wahre Leben spürt. Schön ist zum Beispiel, einfach mal in ein Wiener Beisl zu gehen. Dort sieht man, wie unterschiedliche Gesellschaftsschichten zusammen kommen. Ich bringe die Menschen gerne an Plätze, wo das Zusammenleben ganz natürlich funktioniert. Auch zeige ich Besuchern aus anderen Städten gerne den Stadtrand, wo man im Stadtgebiet noch einen kleinen Berg begehen, einen Weingarten durchqueren oder auf der Donauinsel 20 Kilometer mit dem Rad fahren kann. Darum beneiden uns viele andere Stadtbewohner.

Leidenschaft Innovation

Michael Sicher: Wie sieht die Zukunft des ÖAMTC aus? Ihr habt eine eigene Innovationsabteilung – wie ist diese entstanden?

Oliver Schmerold: Die Innovationsabteilung war meine Initiative, relativ bald, nachdem ich 2011 zum ÖAMTC gekommen bin. Ich wollte eine zentrale Stelle, die für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Informations- und Anlaufstelle dient und neue Anstöße von außen ins Unternehmen bringt. Heute ist es eine kleine, sehr agile, neugierige Gruppe, die im Unternehmen gut vernetzt ist, überall gut mitwirkt und Anstöße und Hilfestellungen liefert. Damit schaffen wir es, neue Ideen und Projekte sehr kurzfristig umzusetzen. Wir brauchen Leute, die sich nach außen vernetzen, an Innovationskongressen teilnehmen, sich in der Community bewegen, Trends aufspüren und auf Relevanz für uns abchecken. Die Aktivitäten, die wir in den letzten Jahren umgesetzt haben, zeigen, dass dieser Ansatz sehr wichtig für den ÖAMTC ist.

Michael Sicher: Gibt es einen besonderen Trend auf den du dich schon freust?

Oliver Schmerold: Ein Trend, der kommen wird und noch dazu aus den Grundideen des ÖAMTC besteht, ist die Idee der Shared Mobility. Damit sind nicht nur kommerzielle Angebote gemeint, sondern Angebote von Mitgliedern für Mitglieder. Das bedeutet, als ÖAMTC Mitglied ein aktives Mitglied und nicht nur Leistungsempfänger sondern auch -anbieter zu sein. Das Verkehrsproblem in Linz lässt sich zum Beispiel nur lösen, indem mehr Leute mit einem Auto fahren und einander mitnehmen. Als ÖAMTC sind wir diesbezüglich gerade im Gespräch mit der Politik, wie es gelingen kann, Fahrgemeinschaften zu bilden. Das ist nur ein kleiner Schritt - aber wir haben in der Zeit der Digitalisierung die Technologien, um Themen wie Vernetzung und Sharing möglich zu machen. Was mir daran vor allem gefällt:  Es entspricht dem Gemeinschaftsgedanken des ÖAMTC.

Barrierefreie Mobilität

Michael Sicher: Was bedeutet Barrierefreiheit für dich?

Oliver Schmerold: Mobilität muss natürlich für alle möglich sein. Ich habe mich in den vergangenen Jahren sehr viel damit auseinandergesetzt und denke, dass in der Gesellschaft zum Glück langsam auch mehr Bewusstsein dafür aufkommt. Das hängt vielleicht auch mit der höheren Lebenserwartung  zusammen. Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Menschen mit altersbedingt eingeschränkter Mobilität muss gegeben sein. Als Organisation möchten wir mit gutem Beispiel vorangehen und Inklusion leben, indem wir ganz gezielt Menschen mit Beeinträchtigungen aufnehmen und gemäß ihrer unterschiedlichen Stärken einsetzen. Gerade im Bereich der barrierefreien Mobilität möchte ich irgendwann zurückblicken und stolz darauf sein, dass wir als ÖAMTC einen guten Beitrag geleistet haben.

Michael Sicher: Ihr bietet ja auch Pannenhilfe für Rollstuhlfahrer und Beratung für Mitglieder mit Behinderung an?!

Oliver Schmerold: Ja, wir bieten Pannenhilfe für Rollstuhlfahrer und auch für Gehörlose über SMS an. Das Thema Beratungsleistung ist ein wichtiges für uns, wobei klar ist, dass wir in diesem spezifischen Gebiet das Know how nicht flächendeckend zur Verfügung haben. In Wien und Salzburg haben wir aber jeweils eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter, die sich spezifisch mit dem Thema auseinandersetzen. Beratungsanfragen werden direkt an die beiden weitergeleitet. Das beginnt beim blauen Ausweis für das Fahrzeug, geht über Einbaumöglichkeiten bis hin zur Kooperation mit einer sehr engagierten Einrichtung, die die Fahreignungsprüfungen für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen macht. Dabei erfahren wir immer wieder, wie wichtig es ist, die individuelle Mobilität zu erhalten oder wiederzuerlangen.

Sehenswert: Die ÖAMTC-Zentrale

Michael Sicher: Höre ich aus diesem Gespräch richtig, dass dein Job auch deine Leidenschaft ist?

Oliver Schmerold: Mein Job ist super, ich würde ihn nicht missen wollen. Er ist die perfekte Schnittstelle zwischen einer sinnvollen Tätigkeit und einer Bandbreite an wirtschaftlichen Themen – von Reisebüro, Versicherungsvermittlung, Kindersitze bis hin zu Interessensvertretung, Automobilwirtschaft, Digitalisierung und vielem mehr.

Michael Sicher: Dann herzlichen Dank, vielleicht trifft man dich ja hier im Kaffeehaus mal?

Oliver Schmerold: Ich bin durchaus öfter hier. Wenn man viele Kontakte hat, die sich in der Innenstadt aufhalten, ist es immer praktisch, wenn man so einen zentralen Ort wie das Café in unserem Cityshop am Schubertring hat. Damit vermittle ich meinen Gesprächspartnern auch gleich die Idee des ÖAMTC, wobei nach wie vor viele unserer Gesprächspartner gerne ins Mobilitätszentrum in Erdberg kommen, weil das Gebäude so spannend ist. Wir haben mit den beiden Cafés am Schubertring und in der Baumgasse jedenfalls zwei attraktive Treffpunkte, die gerne genutzt werden.

Michael Sicher: Für Besucher in Wien ist die Zentrale ja auch sehr sehenswert, alleine schon von Außen die Architektur. Das Café ist auch dort für jeden zugänglich?

Oliver Schmerold: Genauso ist es. Im Konzept war es auch von Anfang an so vorgesehen, dass das Mobilitätszentrum das offene Clubzentrum wird, wo sich die Mitglieder gerne aufhalten und über die Dienstleistung hinaus den Kontakt mit den Mitarbeitern suchen können und sich wohl fühlen.