Interview

Zeitlose Uhren Im Gespräch mit Astrid Stüger-Hübner

Wiener Uhrmachermeister-Tradition seit über 100 Jahren. Wie Astrid Stüger-Hübner zu ihrer ersten Armbanduhr kam und was Uhren so besonders macht.

Michael Sicher: Wir befinden uns in Ihrem Stammhaus am Wiener Graben, Nummer 28, und blicken auf eine Uhrmachermeister-Tradition bis 1914 zurück. Alles begann mit einem kleinen Geschäft in der Nähe, am Petersplatz.

Astrid Stüger-Hübner: Ja, gegründet von meinem Urgroßvater, allerdings für meinen Großvater. Denn er war damals noch zu jung, um selbst ein Unternehmen gründen zu können. Wir sind zwar am Papier die vierte Generation, bezeichnen uns aber als dritte, weil unser Urgroßvater Schätzmeister war und an sich nichts mit Uhren zu tun hatte. Meine Schwester, mit der ich gemeinsam das Unternehmen führe, und ich haben unseren Großvater leider nicht kennengelernt, da er sehr früh verstorben ist. Unser Vater war erst 19 und in Wahrheit ist es eigentlich er, der unser Unternehmen zu dem gemacht hat, was es ist. Er war bis zu seinem 74. Lebensjahr, indem er recht plötzlich verstorben ist, tagein, tagaus hier in Wien, Am Graben, tätig.

Michael Sicher: Wann hat Sie die Faszination des Uhrmachertums ereilt?

Astrid Stüger-Hübner: Dadurch, dass unsere Eltern gemeinsam das Unternehmen aufgebaut haben, sind wir mehr oder weniger im Geschäft aufgewachsen. Somit bekommt man viel mit in die Wiege gelegt. Sowohl das Positive als auch das Negative. Es ist ein Unterschied, ob ich angestellt bin oder ein eigenes Unternehmen führe. Irgendwann hat uns unser Vater vor die Entscheidung gestellt, ob wir die Firma übernehmen wollen oder nicht. Wir haben uns beide dazu entschlossen, gemeinsam ist vieles leichter. Wir haben von unserem Vater so viel mitbekommen und es war sehr lehrreiche Zeit. Es war einfach schön, seine Erfahrung, sein Wissen, seine innere Ruhe, als Vorbild zu haben und darauf zurückzugreifen.

Michael Sicher: Können Sie sich noch an Ihre erste Armbanduhr erinnern?

Astrid Stüger-Hübner: Natürlich! Das ist eine lustige Geschichte. Als Tochter eines Uhrmachers oder ich will fast sagen, damals des Uhrmachers in Wien, war natürlich mein Bestreben, möglichst schnell eine Uhr zu bekommen. Mein Vater hat das ganz einfach gemacht und gesagt, wenn ich die Zeit lesen kann, bekomme ich meine erste Armbanduhr. Nach der Schule, ich war in der zweiten oder dritten Klasse Volksschule am Judenplatz, ging ich immer zu Fuß ins Geschäft. Damals fuhren noch Autobusse über die Seitzergasse. An der Bushaltestelle habe ich so getan als würde ich auf den Bus warten und eine Dame gefragt, wie spät es ist. Sie hat gesagt, es ist sieben Minuten nach halb fünf. Darauf bin ich losgestartet, um möglichst noch innerhalb der Minute im Geschäft zu sein und meinem Vater zu sagen, ich weiß, wie spät es ist: Sieben Minuten nach halb fünf. So habe ich meine erste Armbanduhr bekommen. Lustigerweise keine mechanische, sondern eine Quarzuhr, die ich noch immer habe.

Michael Sicher: In Ihrem Besitz befindet sich eine ganz besondere Taschenuhr von Lange & Söhne. Was hat es damit auf sich?

Astrid Stüger-Hübner: Mein Vater kam, 1941 geboren, noch aus einer Zeit, in der die Taschenuhr das viel wesentlichere und wichtigere Zeitanzeigeinstrument war, und hat immer eine Leidenschaft dafür gehabt. In der Vergangenheit kam die einzige, wirklich qualitativ hochwertige, deutsche Taschenuhr von Lange & Söhne. Irgendwann hat er diese große alte Taschenuhr entdeckt, die sein Vater als Ausstellungsstück in der Auslage hatte, um den Passanten die genaue Uhrzeit anzuzeigen. Damals gab es natürlich keine Würfeluhren in Wien, die wir noch immer haben und lieben. Und so hatten die Uhrmacher oft die genaue Uhrzeit in der Auslage. Nicht jeder hatte eine Armbanduhr am Handgelenk oder eine Taschenuhr in der Tasche. Diese Taschenuhr liegt immer noch manchmal in der Auslage. Sie ist sozusagen unsere Urverbindung zu Lange & Söhne.

Michael Sicher: Zu Lange & Söhne haben Sie eine besondere Verbindung?

Astrid Stüger-Hübner: Die Uhrenmanufaktur Lange & Söhne liegt in Glashütte bei Dresden und wurde am letzten Tag des zweiten Weltkriegs zerbombt und dem Erdboden gleichgemacht. In der DDR wurde enteignet, und Walter Lange, der bis vor ein paar Jahren noch gelebt und die Firma maßgeblich wieder mit aufgebaut hat, ist geflüchtet. Er hatte immer einen Bezug zu Österreich, weil er hier in der Uhrmacherschule in Karlstein war. Am Tag des Falls der Berliner Mauer, 1989, hat Walter Lange, der Ururenkel des damaligen Gründers dieser Uhrenmanufaktur beschlossen, gemeinsam mit der Kraft von IWC und Jaeger-LeCoultre, die Marke wieder aufzubauen. 1990 wurde die Firma eingetragen und am 25. Oktober 1994 sind die ersten Uhren auf den Markt gekommen. Unser Vater hatte davon gehört und war überzeugt, dass es nur ein Erfolg werden kann und hat die ganze Kollektion gekauft. So wurden wir Lange-Händler der ersten Stunde und sind eines der wenigen Häuser, die seit 1994 durchgängig Lange & Söhne führen und vertreten dürfen. Das macht uns natürlich sehr stolz. 

Michael Sicher: Die Messung der Zeit hat eine unglaublich interessante Geschichte. Über Kirchturmuhren und der Bestimmung des Längengrades bis zu GPS. Was sind nach Ihrer Meinung die Meilensteine der Armbanduhren?

Astrid Stüger-Hübner: Der ursprüngliche Gedanke, eine Uhr an die Hand zu geben, kam von der Damenwelt. Somit wurden die ersten Armbanduhren für Damen gebaut, weil Herren ihre Anzüge und Westen hatten und daher ihre Taschenuhren tragen konnten. In der Geschichte gibt es die großen Entwickler wie Abraham-Louis Breguet, auf den noch immer viele technische Fortschritte zurückzuführen sind. Aber auch hier steht das Rad der Zeit nicht still. In den letzten 1o, 20 Jahren wurden neue Hemmungen, der wichtigste Teil der Armbanduhr, der die Präzision vorgibt, entwickelt. Die bis dahin verwendete Schweizer Ankerhemmung entstand aus einer Taschenuhr und ist weit über 200 Jahre alt. George Daniels hat das co-axiale Uhrwerk erfunden, war aber damit seiner Zeit voraus. Er hat es vielen großen Uhrenmarken angeboten, aber ist auf kein Interesse gestoßen bis es Nicolas Hayek, der Gründer der Swatch Group, aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Inzwischen gibt es neue Hemmungen und Materialien. 

Michael Sicher: Haben wir heute andere Ansprüche an Armbanduhren?

Astrid Stüger-Hübner: Die Ansprüche, die wir an eine Armbanduhr stellen, haben sich in den letzten 40 Jahren enorm gewandelt. Wir haben Mobiltelefone, arbeiten mit Computern, kochen mit Induktion. Vor 50 Jahren war vor allem der Magnetismus in der Uhrenbranche für einen Großteil der Uhrenträger/innen überhaupt noch kein großes Thema. Da gab es lediglich die IWC Ingenieur, die eine starke Antimagnetwirkung hatte, und die Fliegeruhren für die Piloten zum Navigieren, eine Kombination aus Kurs und Zeit, extrem wichtig war. Die Teile in den Uhren waren aus Metallen, die keine antimagnetischen Eigenschaften hatten. Heute wird Silizium in unterschiedlichen Bereichen des Uhrwerkes verwendet, um den Magnetismus möglichst ausschließen zu können. Der Magnetismus bei einer Armbanduhr ist kein Defekt, der nicht behoben werden kann. Wir müssen dazu nicht einmal die Uhren öffnen, sondern sie nur entmagnetisieren, indem wir sie durch eine Spule mit einem Magnetfeld ziehen, das das andere zerstört. Es ist ein, in Anführungszeichen, lästiger Weg zum Uhrmacher, aber wenn die Uhr in einer Stunde auf einmal eine halbe Stunde vorgeht, fehlt einem die Zeit.

Michael Sicher: Welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft?

Astrid Stüger-Hübner: Es gibt großartige Kooperationen und Entwicklungen, Forschungen, teilweise mit Universitäten, teilweise mit dem Automobilbereich. Girard Perregaux zum Beispiel ist gerade eine Kooperation eingegangen, die darauf abzielt Erkenntnisse aus der Automobilforschung zu nutzen. Denn vor allem im Rennsport wurde schon immer viel mit Materialien geforscht und entwickelt, weil es immer um die Gewichtsfrage geht. Ich bin ein Tennisfan und wenn Rafael Nadal jetzt gerade beim French Open mit einer Armbanduhr spielt, die ein Tourbillon hat, das die Uhr noch präziser macht, oder Golfer eine Uhr tragen, die beim Abschlag eine Belastung von bis zu 3G verkraften, begeistert mich das. Ich glaube, da kommen noch spannende Zeiten auf uns zu.

Michael Sicher: Welche Uhren sind Ikonen, die man kennen oder gesehen haben sollte?

Astrid Stüger-Hübner: Wenn man bei der wohl weltweit größten Uhrenmarke, Rolex, anfängt, ist das eine Submariner, aber auch ein normales „Oyster“-Modell. Von Jaeger-LeCoultre natürlich die Reverso und die Memovox, die Uhr mit dem wirklich bei weitem noch immer schönsten Weckerklang. Bei IWC ist es fast schwierig, weil sie in ihrer langen Zeit der Markenexistenz doch einige ikonenhafte Uhren auf den Markt gebracht haben. Wie die Fliegeruhr, von Mark 9 bis Mark 18, aber auch einen Portugieser. Bei Cartier jede Art der Tank. 

Michael Sicher: Was macht eine Ikone aus?

Astrid Stüger-Hübner: Ich finde, eine Ikone ist ein Produkt, das ganz eng mit der DNA der Marke verbunden ist. Das wäre bei Lange & Söhne definitiv die Lange 1, das ist die Ikone. Ihre Entwicklung, die sie zwar macht, ist so feinfühlig und sensibel, dass im Prinzip das tatsächliche Äußere der Uhr nicht verändert wird. Bei Breitling der Navitimer, bei Omega die Speedmaster Professional Moon. Ikone bedeutet für mich, dass ich am Handgelenk erkenne, welches Modell es ist, ich aber nicht sagen kann, ob die Uhr 10 Jahre, 8 Monate oder drei Tage alt ist 

Michael Sicher: Also zeitlose Uhren?

Astrid Stüger-Hübner: Genau, ein wunderschönes Wortspiel, eine zeitlose Uhr, ist eine gute Bezeichnung.

Michael Sicher: Ob Ikone oder andere Uhr, sie zeigen alle die Zeit. Was sind die unterschiedlichen Motivationen Ihrer Kunden eine Uhr zu kaufen?

Astrid Stüger-Hübner: Die sind wirklich ganz unterschiedlich. Es gibt Kunden, die sagen, ich verwende zwar ein Handy, aber ich trage gerne eine Uhr, um mit einem Blick die Zeit zu sehen, ohne das Handy herausnehmen und einen Knopf drücken zu müssen. Für viele ist sie, abgesehen von Manschettenknöpfen und Ehering, das einzige gesellschaftlich akzeptierte Schmuckstück des Mannes. Dann gibt es die Technikfreaks, die wirklich in der Mechanik den Anreiz finden. Oft auch nur aufgrund des Aussehens. Ich glaube es gibt viele Chronographen an den Handgelenken, die noch nie betätigt worden sind. Manchmal ist es einfach der Wunsch, etwas zu besitzen, das in seiner langen Lebensdauer eine doch ikonische Bedeutung gehabt hat. Oder etwas, das man gerne weitergibt. Etwas, das man selbst gerne möchte, aber in Wahrheit schon für die nächsten Generationen kauft. Das Schöne an einer Armbanduhr ist, dass sie so erhalten werden kann, dass sie noch in vielen Jahrzehnten funktionstüchtig ist.

Michael Sicher: Es gibt eine unwahrscheinlich große preisliche Bandbreite bei Uhren. Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede?

Astrid Stüger-Hübner: Die gibt es vielfach. Ich kann zum Beispiel Uhren mit Steinen komplett ausfassen, um damit den Wert zu steigern. Prinzipiell muss man sich anschauen, in welchem Produktionsbereich eine Uhr entsteht. Wenn Rolex wahrscheinlich achthunderttausend bis eine Million Uhren im Jahr produziert und wir das Lange & Söhne gegenüberstellen, die im vierstelligen Bereich ein paar Tausend Uhren pro Jahr produzieren, dann hat sich allein über diese Produktionsmenge der Wert einer Uhr schon ein bisschen definiert. Und dabei geht es noch gar nicht um Gold oder Stahl und hat sie eine Komplikation, eine „Zusatzfunktion“, oder nicht. Vergleichen wir zum Beispiel einen Chronographen mit einer Uhr mit springender Sekunde, die etwas sehr Seltenes ist. Dabei machen wir optisch aus einer Automatikuhr eine Quarzuhr. Der Mechanismus, den es bedarf, um einen Zeiger, der aufgrund der Konstruktion des Uhrwerkes eben schleicht, springend zu machen, ist annähernd so kompliziert wie ein Chronograph. Das würden Sie aber nie vermuten, weil Sie die Technik dahinter vielleicht nicht kennen oder gar nicht wissen, dass es eine springende Sekunde gibt. Die preisliche Bandbreite muss man von sehr vielen unterschiedlichen Seiten betrachten. Wenn eine Uhrenmarke wie Lange & Söhne eine Stahluhr baut, wird sie verhältnismäßig nicht viel weniger kosten als eine Golduhr, weil hier der Wert nicht im Gehäuse liegt, sondern in der Kapazität, das Uhrwerk überhaupt produzieren zu können. Das ist bei einer Firma, wie Omega mit ein paar hunderttausend Uhren im Jahr oder Longines mit über einer Million, allerdings mit vielen Quarzuhren, etwas ganz was anderes. Man kann nicht sagen, die eine Uhr ist mit der Komplikation teuer und die andere ist mit der Komplikation günstig. Nomos oder Oris sind zum Beispiel Marken, die in einem sehr vernünftigen Preissegment anbieten und trotzdem viel Uhr bieten.

Michael Sicher: Was bedeutet für Sie persönlich Zeit?

Astrid Stüger-Hübner: Zeit hat immer mein Leben bestimmt. Sei es jetzt Lebenszeit, aber auch Berufszeit oder Freizeit. Ich liebe die Zeit und hoffe, dass sie noch lange und viele schöne Stunden für mich anzeigt. Auch in meinem beruflichen Leben, gehört die Zeit einfach ganz massiv zu meinem Leben.

Michael Sicher: Zum Abschluss noch eine ganz andere Frage: Was zeigen Sie Ihren Besuchern gerne von Wien?

Astrid Stüger-Hübner: Wenn ich es beruflich sehe, dann würde ich ihm jedenfalls das (leider nicht barrierefreie) Uhrenmuseum zeigen, weil es einfach wirklich ein kleines Juwel und ein Prachtstück der Wiener Innenstadt ist. Sonst suche ich eher keine „Hotspots“, sondern würde lieber diese ganzen kleinen verwinkelten Gassen, die typisch mit für Wien sind, abgehen. Auch der Prater hat ohne Besucher ein besonderes Flair. Ich würde eher nicht die großen Menschenansammlungen suchen, sondern eher diese versteckten Geheimnisse, wie eben diese kleinen, typisch wienerischen Gassen. Ich würde mit meinem Besuch, obwohl ich den Plachutta oder den Figlmüller schätze, eher ins Wirtshaus ums Eck, wie zum Reinthaler, auf ein Schnitzel gehen. Nicht dorthin, wo man im Allgemeinen sagt, dort muss man gewesen sein.