Interview

The Guesthouse Vienna - Design zum Wohlfühlen Im Gespräch mit Manfred Stallmajer

Hoteldirektor Manfred Stallmajer im Gespräch am Rande der Großstadt bei Pichlmairs Herkner. Über den Stellenwert von Design und Tradition, seine Rolle als Gastgeber und die Faszination alter Technik.

Michael Sicher: Wir sitzen hier gemütlich bei Pichlmairs zum Herkner in Neuwaldegg. Warum ist das Ihr Lieblingsplatz?

Manfred Stallmajer: Hier ist man in der Stadt und doch am Land. Mitten im Grünen. Alleine das Herausfahren mit der Straßenbahn, Ankommen an dieser romantischen Endstation der Linie 43, ist ein bisschen Sommerfrische mitten in der Großstadt. Dann das großartige Service bei Pichlmaiers. Da ist einfach so viel Herzlichkeit dabei.

Michael Sicher: Sie sind Geschäftsführer von The Guesthouse Vienna in der Führichgasse 10. Was ist Ihnen bei Ihren MitarbeiterInnen und beim Service für Ihre Gäste wichtig?

Manfred Stallmajer: Ganz wichtig ist mir, dass meine MitarbeiterInnen nicht austauschbar sind. Es gibt keine vordefinierten, standardisierten Phrasen. MitarbeiterInnen müssen nicht mit genau vorgegebenen Worten das Telefon abheben oder Tagesempfehlungen nach vorgefertigten Phrasen an den Mann oder an die Frau bringen. Auch der Check-In erfolgt individuell.

Mir ist wichtig, dass die MitarbeiterInnen geschult sind, damit sie ihre Aufgaben gut erledigen. Die Art und Weise wie sie das tun muss jedoch seinem oder ihrem Naturell entsprechen. Er oder sie muss sich dabei wohlfühlen.

Ich sage meinen neuen MitarbeiterInnen, dass es mir egal ist, wie sie sich am Telefon melden. Mir ist nur wichtig, dass der Anrufer weiß, er ist im Guesthouse Vienna gelandet. Das gleiche gilt für das Service im Restaurant, der Brasserie und an der Rezeption. Denn wenn wir Menschen mit Charakteren beschäftigen sind wir nicht austauschbar. Wir leben ohnehin in einer so uniformen Zeit, dass genau dieser Unterschied ganz wichtig ist. Somit haben die MitarbeiterInnen auch mehr Spaß an der Arbeit. Ich will, dass die MitarbeiterInnen gerne in die Arbeit kommen und Spaß haben. Und nicht nur, weil es am Ersten des Monats Geld gibt. Das ist bestimmt mit ein Grund warum MitarbeiterInnen sehr lange bei uns bleiben.

Michael Sicher: Sie sind ja nicht „nur“ Hoteldirektor, sondern sehen sich als Gastgeber. Was ist Ihr Verständnis als Gastgeber?

Manfred Stallmajer: Der Titel Hoteldirektor oder Generalmanager sagt schon, es ist jemand, der verwaltet, der managt, der leitet. Natürlich muss ich das auch tun. Wenn ich mich als Gastgeber sehe, dann sehe ich mich zuerst als Gastgeber gegenüber meinen Mitarbeitern. Sie kommen nämlich wirklich zuerst. Und dann natürlich gegenüber meinen Gästen. Damit will ich ausdrücken, dass ich die ganzen Rahmenbedingungen vorleben will. Vom Haus, von der Ausstattung, von der Qualität, vom Konzept bis zur Atmosphäre, wie die Mitarbeiter mit den Gästen umgehen. Das ist das Allerwichtigste. Zuerst möchte ich, dass die Mitarbeiter sich wohl fühlen und ihren Job gern machen. Dann brauche ich mir keine Sorgen machen, dass sie mit einem richtigen, herzlichen Lächeln dastehen und nicht mit einem aufgesetzten, weil hinten bei der Servicetür ein Smiley klebt. Sie sollen lächeln, wenn ihnen zum Lächeln zumute ist.

Michael Sicher: Ist das auch etwas, das Sie am Ihren Lieblingsplatz schätzen?

Manfred Stallmajer: Ja, diese Herzlichkeit und so viel Persönlichkeit. Genau wie die Verliebtheit in Details. Die Mitarbeiterin, die weiß, dass ich meinen Kaffee mit halb Milch und halb Obers möchte, obwohl sie mich erst einmal bedient hat. Und andere Details, wie nette Blumen und schöne Vasen, die alle sehr stilvoll sind.

Wäre das Ganze mit einem Drittel Aufwand gemacht worden, wäre es vielleicht zwar schön, hätte aber nicht diese Seele. Ich verbringe meine wertvolle Freizeit natürlich gerne an Orten, wo Herz und Seele stimmen.

Michael Sicher: An welchen anderen Orten finden Sie das noch?

Manfred Stallmajer: Ich bin gerne im Steirerstöckl, das sehr ähnlich ist. Und, obwohl es zwar Teil meines Arbeitsplatzes ist, am Abend gerne privat im Café Drechsler in der Stadt. An Wochenenden, wenn ich aus der Stadt kann, in meinem geliebten Südburgenland.

Michael Sicher: Was muss ein Gast, wenn er nach Wien kommt, in einem Kaffeehaus unbedingt probiert haben?

Manfred Stallmajer: Die Erwartungshaltung ist, dass man die Melange und den Apfelstrudel probiert. Es gibt aber viele Gäste, die den „grant’lnden“ Kaffeehauskellner erwarten. Das ist etwas, dass niemand mehr erleben muss, aber leider noch zu oft vorzufinden ist.

Die Kaffeehäuser in Wien haben es im Allgemeinen sehr schwer, weil sich die Erwartungshaltungen an ein Kaffeehaus in den letzten Jahren sehr verändert haben. Kaffeehäuser, die eine Tradition von hundert oder oft mehr Jahren haben, tun sich schwer, sich an neu entstandene Konzepte anzupassen. Aber das Wiener Kaffeehaus ist eine Institution, die letztendlich nicht verloren gehen wird.

Michael Sicher: Was bedeutet für Sie persönlich Tradition?

Manfred Stallmajer: Das Bewahren von schönen Werten, Tradition leben. Das Weitergeben schöner Werte aus früheren Zeiten an die nächsten Generationen. Zum Beispiel eine gewisse Höflichkeit. Gerade in der Hotellerie und Gastronomie kann man in Bezug auf die Tradition der Höflichkeit, die immer mehr verloren geht, sehr viel machen.

Mir ist unlängst wieder bewusst geworden, dass es immer öfter keinen Respekt, keine Höflichkeit und Wertschätzung mehr im Alltag gibt. Statt Augenkontakt mit dem Gegenüber ist ein Blick auf das Handy wichtiger. Hier gehen Werte verloren.

Für mich zählt zur Tradition, dass man grüßt und in einen Mantel hilft. Das mag für die heutige Generation konservativ sein, aber ich finde Wertschätzung und Höflichkeit sind schöne Werte. Genau wir in der Hotellerie und Gastronomie könnten das leben. Konzepte gehen ja leider schon in die Richtung, dass man irgendwo an der Kassa bezahlt und sich selbst aus dem Kühlschrank das Mineralwasser herausnimmt.

Wir verlieren immer mehr den Bezug zur Kommunikation und Wertschätzung. Das finde ich traurig.

Michael Sicher: Haben Sie in Ihrer jahrelangen Hotellerie-Erfahrung eine zunehmende Schnelllebigkeit bei Gästen bemerkt? Hat sich das Reiseverhalten geändert?

Manfred Stallmajer: Ja, weil man immer kurzfristiger bucht und durch alle möglichen Leistungsträger dazu animiert wird. Einerseits wird man belohnt, wenn man lange im Voraus bucht und wird bestraft, wenn man sehr kurzfristig bucht. Auf der anderen Seite, kann man kurzfristig oft günstiger buchen, wenn Rest-Kapazitäten frei sind. Damit erzeugen wir eine gewisse Schnelllebigkeit, aber auch eine gewisse Unglaubwürdigkeit.

Die Leute sind meiner Meinung nach getriebener, weil sie permanent erreichbar sind. Heute sind zum Beispiel in einem Hotelzimmer mit zwei Gästen drei bis vier mobile Endgeräte im WLAN eingeloggt. Das sagt etwas aus. Die Leute haben nicht mehr so viel Zeit.

Im Guesthouse sind wir, glaube ich, eine Ausnahme, weil wir neunzig Prozent Privatgäste und kaum Businessgäste haben. Ich finde es sehr schön, dass sich diese Gäste noch Zeit für die Stadt nehmen und ein bisschen entspannter sind. Aber vier Endgeräte sind trotzdem eingeloggt.

Michael Sicher: Wofür nehmen Sie sich Zeit als Ausgleich zu Ihrem Job?

Manfred Stallmajer: Für das gemütliche Zusammensein und das Nachhause kommen. An Wochenenden, wenn ich aus Wien herauskomme, ist es mein geliebtes Südburgenland, wo ich ein kleines Kellerstöck’l habe.

Ich bin ein Technikfreak und liebe alte Technik. Am Wochenende genieße ich Fahrten mit meinen Oldtimern. Wobei ich mit meiner Lebensgefährtin nicht sinnlos durch die Gegend oder Spazieren fahre. Es ist dann einfach das Fahrzeug, mit dem man die Wege macht und einkaufen fährt. Dann ist schon der Weg eine Freude und das Auto nicht nur Mittel zum Zweck. Das ist mein Ausgleich. Natur, Südburgenland, meine Oldtimer und ein bisschen Sport.

Michael Sicher: Ihnen ist gutes und schönes Design wichtig. Was bedeutet es für Sie?

Manfred Stallmajer: Ich möchte mit einem Zitat von Terence Conran antworten: „Gutes und schönes Design macht mit Sicherheit das Leben schöner und lebenswerter.“ Es geht um die Stimmigkeit, Nachhaltigkeit und grundsätzliche Atmosphäre des Wohlfühlens, die durch gutes Design und gute Architektur ausgestrahlt werden. Design darf nicht Mittel zum Zweck sein. Terence Conran hat damit Recht, weil Menschen frustriert werden, wenn sie in billig gebauten und hässlichen Wohnungen, die ausschließlich nur zum Zweck mit kleinen Räumen, Kunststofffenstern und Kunststoffinnentüren ausgestattet sind, wohnen müssen. Schönes Design trägt zum Wohlfühlen bei.

Michael Sicher: Sie haben bei Ihrer barrierefreien Ausstattung im Guesthouse beim Design keine Abstriche gemacht. Was ist Ihr Ansatz zur Barrierefreiheit?

Manfred Stallmajer: Menschen mit Behinderung brauchen einfach Barrierefreiheit. Gerade deshalb gibt es hier überhaupt keine Berechtigung jetzt rein zweckmäßig zu bauen. Diese Menschen sollen genauso den Design- und Architekturanspruch haben.

Sie haben einen gewissen Beweggrund bei uns und nicht woanders zu wohnen. Dieser wird wahrscheinlich auch, wenn sie Bilder auf unserer Website gesehen oder die Geschichte unseres Hauses gelesen haben, sein, dass sie an diesem Design, Konzept und dieser Architektur interessiert sind. Ich möchte, dass Design, Architektur die Einrichtungsgegenstände des barrierefreien Zimmers genauso vorkommen und untergebracht werden. Es muss herum so gebaut werden, dass diese Schönheit dann barrierefrei wird.

Michael Sicher: Ein Beweggrund ist bestimmt auch das ausgezeichnete Frühstück.

Manfred Stallmajer: Man kann bei uns wirklich den ganzen Tag über frühstücken, weil wir kein Buffetfrühstück anbieten, sondern das Frühstück komplett serviert wird.

Ich bin selbst Langschläfer, besonders im Urlaub. Mich stresst es in Hotels zu wohnen, wo um zehn Uhr Frühstückschluss ist. Wenn man am Vorabend bei einem guten Essen gesessen ist, dann noch an einem lauen Sommerabend vielleicht zu zweit eine Flasche Wein trinkt und einen gemütlichen Abend hat, kann zehn Uhr eng werden. Man kommt dann eine Viertelstunde vor Frühstückschluss, es ist schon nicht mehr alles da und die Mitarbeiter sind grantig, weil jetzt noch jemand kommt. Deswegen habe ich gesagt, wir machen das anders indem wir servieren. Es ist vollkommen egal, ob man Eier, Butter, Marmelade, Gebäck, etc. um neun Uhr in der Früh aufschneidet und herrichtet oder um vier Uhr am Nachmittag. Damit haben wir etwas in der Kommunikation ausgelöst. Frühstück von 6:30 bis 23:00 Uhr? Das hat neugierig gemacht. Damit konnten wir einen Teil unserer Kernbotschaft der Brasserie sehr gut transportieren. Nämlich, das wir das Brot und Gebäck in der eigenen Bäckerei selbst backen. Das ist zufällig passiert und war nicht so gedacht. Im Nachhinein betrachtet war es ein super Aufhänger, um die anderen Dinge, die uns wichtig waren, zu kommunizieren.

Michael Sicher: Wenn Sie privat Gastgeber sind, was sollten Ihre Gäste auf jeden Fall sehen?

Manfred Stallmajer: Sie sollen auf jeden Fall einen Spaziergang durch die Wiener Innenstadt machen. Weil sie mit ihren kleinen, schmalen Gassen und einer fast lückenlosen, schönen, alten Bausubstanz für eine europäische Haupt- und Großstadt fast einzigartig ist. Auch wenn es alle Klischees erfüllt, man muss Schloss Schönbrunn und die Hofburg unbedingt sehen. Das gehört einfach dazu. Die Hofburg ist immerhin eine der größten Burganlagen Europas, die als Residenz genutzt wurden. Das ist imposant und etwas auf das wir stolz sein können.

Außerdem sollen sie sich in eine Straßenbahn setzen und nach Neuwaldegg oder Nußdorf, bewusst nicht nach Grinzing, in die Heurigen-Gegenden fahren. Wien ist eine der wenigen europäischen Hauptstädte in der Wein wächst. Und gar kein schlechter noch dazu. Dieses Gefühl und diese Kultur der Heurigen-Seligkeit sind sehr speziell. Wenn man diese Dinge macht, nimmt man sehr viel Wien mit.

Michael Sicher: Wo zieht es Sie im Urlaub hin?

Manfred Stallmajer: Ins Südburgenland und in die Ost-Steiermark, meine Heimat. Und sehr gerne ins steirische Salzkammergut, das mit seinen Bergen und Seen einfach wunderschön ist.

Wenn es ans Meer geht bin ich der nordische Typ. Ich fahre sehr gerne und regelmäßig im Winter ein paar Tage an die Ostsee. Da fragt sich jeder: „Was macht man im Winter am Meer?“ Man kann dort unheimlich viel machen. Da ist erstens eine beschauliche Ruhe und zweitens gibt es um diese Zeit meistens Schnee, viel Schnee. Man kann direkt am Strand Langlaufen. Zehn Meter neben der Langlaufloipe sind die Brandung und das Wasser. Auf den Inseln Rügen und Usedom schließt schon wieder die Architektur an. Ich fahre gerne in Gegenden mit schönen Dorf- und Städtestrukturen. Die Bäderarchitektur dort tut dem Auge und der Seele sehr gut. Die Menschen haben damals schon gewusst, warum sie in diesen mondänen Kurbädern, die sie damals waren, Seebädern so eine schöne Architektur verliehen haben. Man hat damals schon gewusst, dass gute Architektur dem Leben guttut.

Michael Sicher: Haben Sie noch einen Architektur-Geheimtipp in Wien?

Manfred Stallmajer: Mir fällt kein konkretes Gebäude ein. Aber beim Spazierengehen im 7. und 8. Bezirk gibt es sehr viele ein- oder zweistöckige Häuser aus der Biedermeierzeit. Wenn die Haustore offen sind, kann man unheimlich schöne Hinterhöfe mit Pawlatschen und eisernen Wendelgängen sehen.

Ein Gebäude, das mich fasziniert, aber leider nicht öffentlich zugänglich ist, ist das ehemalige Zentralpostgebäude beziehungsweise k.u.k. Telegraphenamt am Börseplatz. Bei zwei Aufführungen, Alma Mahler von Paulus Manker, hatte ich die Gelegenheit das Gebäude von Innen zu sehen. Das Gebäude ist großartig, weil man damals einen Zweckbau, indem die Fräulein vom Amt Telefongespräche vermittelt haben, so schön bauen konnte. Nämlich mit Prunksälen, großen imposanten Räumlichkeiten mit Deckengemälden. Was mich technisch fasziniert ist, dass es in der Monarchie eines der ersten klimatisierten Gebäude war. Die Klimaanlage hat ganz toll und sehr simpel funktioniert. In der Nähe verläuft eine Hauptleitung der Wiener Hochquellwasserleitung und es gab einen Luftbrunnen im Park. Dort wurde Luft angesaugt, die über einen unterirdischen Tunnelkanal ging. Das kalte Hochquellwasser, das im Sommer auch nur 10 bis 12° C hat, ist dort wie durch einen großen Autokühler geronnen. Dahinter war ein sich langsam drehender Ventilator, der die Luft abgekühlt und durch diesen Tunnel in das Gebäude gedrückt hat. Im Haus selbst waren verschiedenen Luftkanäle, über die diese kühle Luft ausgeströmt ist. Somit konnte das Gebäude selbst bei heißen Temperaturen absolut Ressourcen schonend auf 25 bis 26° C gekühlt werden. Und das damals. Diese Kombination aus Architektur und simpler Technik fasziniert mich.

Deshalb fahre ich auch so gerne mit Oldtimern. Ich nenne das immer Analog-Autofahren. Ich entscheide noch, wann ich den Scheibenwischer einschalte und nicht der Computer mit dem Sensor.

Manfred Stallmajer und Michael Sicher am 21. Juli 2016 im Pichlmairs Herkner, 1170 Wien, Dornbacher Straße 123.