Das Hotel Sacher in Wien ist mehr als ein Luxushotel. Es ist eine Institution und hat einen engen Bezug zur Wiener Staatsoper. Hoteldirektor Reiner Heilmann über Geschichte, die Bedeutung von Luxus und den Siegeszug der Original Sacher-Torte rund um die Welt.
Michael Sicher: Es ist ziemlich ungewöhnlich, dass ein Lieblingsplatz gleichzeitig auch der Arbeitsplatz ist. Das können nur wenige Menschen von sich behaupten. Das Hotel Sacher ist zweifellos etwas ganz besonderes. Warum ist es hier Ihr persönlicher Lieblingsplatz?
Reiner Heilmann: Das Hotel Sacher ist historisch gewachsen und hier, in der Roten Bar, ist es ein Teil von Wien. Es ist wie ein Wohnzimmer mit dem Blick zur Staatsoper. Und so, wie das Sacher auch ein Stück von Wien ist, ist dies hier das Wohnzimmer, in das unglaublich viele Wiener Gäste mit ihren Familien, mit ihren Freunden, aber auch mit ihren Gästen kommen, um hier zu essen. Es ist sehr „verplüscht“, im positiven Sinne. Und es freut uns natürlich sehr, dass dies auch von den Wienern so angenommen wird. Es ist so gemütlich. Ob das nun ein Mittagessen ist, ein Geschäftsessen oder am Abend, vor der Oper, nach der Oper, wo der Pianist den Abend ausklingen lässt. Wo das, was am Abend in der Oper, im Konzerthaus oder im Musikverein Gehörte vielleicht nochmals gespielt wird und den Abend so perfekt abschließt.
Ich sitze nicht so oft hier, wie man es vielleicht möchte. Aber wenn ich Termine oder Geschäftsessen im Hotel Sacher habe, bevorzuge ich die Rote Bar schon sehr, weil sie wirklich ein Stück Wien ist.
Michael Sicher: Sie haben die Oper erwähnt. Es gibt ja eine enge Beziehung zwischen der Wiener Staatsoper und dem Hotel Sacher, gerade was den Wiener Opernball betrifft.
Reiner Heilmann: Wir sind sehr glücklich, dass wir gegenüber der Oper sind. Wir hatten immer schon einen Bezug zur Kultur, insbesondere zur Oper und zu den Künstlern, die dort singen, tanzen oder dirigieren. Und das ist bis heute so geblieben. Wir haben erstens sehr viele Gäste, die ausschließlich wegen der Oper nach Wien kommen. Zweitens auch Geschäftsgäste, die einen anderen Schwerpunkt haben, aber natürlich die Zeit in Wien nutzen, um auch die Oper besuchen zu können.
Und dann ist es so, dass durch die Geschichte, schon zur Zeit des Kaisers und als Anna Sacher noch lebte, die Oper natürlich ein ganz wichtiges Kriterium war. Schon damals war es so, dass viele nach der Aufführung herüber gekommen sind. Damals gab es noch Séparées. Sie haben hier gegessen, sich getroffen. Und das ist bis heute so, auch durch den Opernball.
Der Opernball ist ein zentrales Element. Die Gäste kommen vor der Oper, vor dem Opernball, haben hier ein Galadiner. Dann gehen sie in die Oper, dann beginnt der Opernball. Und das Pendeln bis in die Morgenstunden. Die Gäste gehen mit ihren Ballkleidern oder im Frack hinüber, kommen nachts wieder hierher, trinken einen Kaffee, gehen in die Bar, gehen zum Würstelstand, gehen wieder rüber. Das ist ein Pendeln. Das ist herrlich! Da ist diese Nähe, die nicht nur örtlich zu sehen ist, sondern einfach zu spüren ist.
Auch für unsere Küche ist die Oper allgegenwärtig, weil wir die Karte dementsprechend zusammen- stellen. Das heißt, wenn der Gast nach einer Wagner-Oper kommt und vier, fünf Stunden in der Oper war, isst und bestellt er anders, als jemand, der zum Beispiel im Ballett oder in der Operette – wobei in der Oper nur die „Fledermaus“ gespielt wird – war. Da spürt man auch, dass die Oper ein zentrales Element für uns ist.
Und dann natürlich die Künstler, die bei uns wohnen. Die dort dirigieren, die dort singen, die dort tanzen. Das ist schon ganz wunderbar! Die Oper begleitet uns auf allen Ebenen. Und natürlich auch in den Hotelzimmern. Die Suiten haben alle einen Namen nach Opern. Im ersten bis vierten Stock, der traditionelle Bereich, haben wir die Suiten nach klassischen Opern benannt. Wie wir das Dach vor zehn Jahren ausgebaut haben, das ist ja ein „Neubau“, haben wir diese Suiten nach zeitgenössischen Opern benannt. Da sind wir damals natürlich auch mit Marcel Prawy zusammengesessen und haben überlegt, welche Namen passen am besten zu der Gestaltung der Räumlichkeiten. Damals haben wir auch mit dem Theatermuseum zusammengearbeitet, das uns die Faksimiles der Erstaufführung der jeweiligen Oper zur Verfügung gestellt hat. Damit haben wir in der Suite, schön gerahmt, einen Druck der Erstaufführung und der Erstbesetzung, wo dann auch der Bezug wieder da ist. Das ist ein ganz wesentlicher Faktor.
Michael Sicher: Und noch mehr als die Oper, ist eine sehr enge Begleiterin des Hotel Sacher die Sacher Torte.
Reiner Heilmann: Natürlich. Die Torte ist mittlerweile ein eigenes Unternehmen, das wirtschaftlich unabhängig vom Hotel ist. Aber die Torte gehört zum Hotel und das Hotel gehört zur Torte. Marketingtechnisch nutzen wir beide natürlich gegenseitig. Aber es begann alles mit der Torte 1832, als Franz Sacher die Torte erfunden hat und sie nach ihm, dem kleinen Sacher, benannt wurde. Worüber wir sehr glücklich sind. Die nächste Generation von Franz war Eduard, der damals, so würde man heute sagen, ein erfolgreicher Caterer war. Er hat Delikatessengeschäfte und Kaffeehäuser in und um Wien gehabt und dann Anna Sacher geheiratet. Sie war der „Promoter“ des Unternehmens Sacher, der Gastronomie, des Hotels, aber auch der Torte. Letztendlich war die Torte zu Beginn. Vor dem Hotel war die Torte. Die Torte, 1832, war der Beginn des Sacher-Daseins.
Michael Sicher: Wie war es möglich, dass eine Torte einen derartigen Siegeszug um die Welt antrat?
Reiner Heilmann: Es war so, dass es ja damals keine Kühlschränke gab. Franz Sacher hat damals eine Schokoladentorte am Hof Metternich kreiert und wollte sie auf natürliche Weise konservieren. Daher hat er eine Torte mit einer Schokoladenglasur mit hohem Zuckeranteil hergestellt, die sie auf natürliche Art und Weise konserviert. Das war damals eher untypisch. Die Torte wurde in Wien relativ schnell bekannt. Damals waren wir k.u.k. Hoflieferant. Das heißt, die Kaiserin hatte die Torte am Hof immer genossen. Und ich glaube persönlich, dass das sicherlich ein Faktor war. Weil alles, was vom Hof für gut befunden wurde, natürlich einen gewissen Antrieb bekam. Das hat sicherlich schon wesentlich dazu beigetragen. Zusätzlich, dass Anna Sacher eine sehr resolute Dame war, die Zigarre geraucht hat, unglaublich gut Kontakte knüpfen konnte und Menschen miteinander verbunden hat. Wirtschaft, Politik und Kunst hatte sie unglaublich gut hier im Haus dirigiert. Sie war sicherlich ein wesentlicher Faktor für das Haus, aber auch für die Torte. Heute würde man sagen, sie war ein Marketinggenie. Sie war sehr wesentlich, hatte eine sehr wesentliche Rolle. Mehr als ihr Mann. Obwohl ihr Mann ein hervorragender Caterer und Fachmann gewesen sein muss. Aber man spricht immer nur von ihr. Verrückt!
Michael Sicher: Es gibt ja auch Sacher-Bären - was hat es mit ihnen auf sich?
Reiner Heilmann: Ja, wir haben unsere Bären und eine Bärengeschichte. Wir haben mittlerweile drei: Der Wagenmeister, der Koch und das Serviermädchen. Begonnen hat alles mit einer Zusammenarbeit mit Steiff. Da haben wir eine limited Edition mit dem Wagenmeister-Bären gemacht. Es war für uns nicht vorstellbar, dass ein Bär, der sehr hochpreisig war und sehr wertig, sehr schön und schön gekleidet, schon ausverkauft war, bevor er überhaupt im Geschäft war. Es gab viele Vorbestellungen und am Tag, an dem er ausgeliefert wurde, war er schon weg.
Da waren viele Gäste, die gesagt haben, wir möchten so einen Bären. Aber limited Edition ist eben limited Edition. Dann haben wir gesagt, ich glaube zwei Jahre später, wir machen einen eigenen Bären, der dann kein Steiff-Bär und auch nicht so hochpreisig ist wie er damals war. Aber so gekleidet wie er. Wir haben dann mit dem Wagenmeister-Bär begonnen, schön in der Holzbox. Der war so erfolgreich, dass dann der Koch und das Serviermädchen dazu kamen.
Das haben wir jetzt in unserem Magazin mit einer Geschichte begleitet. In diesem Magazin wird die Geschichte erzählt von den drei Bären. Und dieser Haupt-Bär, der Franz, führt durch das ganze Haus. Wir haben daraufhin auch eine Kindergeschichte dazu erzählt. In unserem Magazin sind verschiedene Folgen und die zweite Folge der Geschichte war, dass der männliche Bär den weiblichen Bär in Salzburg kennenlernt und sie sich Briefe schreiben. Wirklich süß gemalt und süß geschrieben. Und dann wird es irgendwann Nachfahren geben. Wir arbeiten an diesen Minibären, die kommen demnächst. Das alles ist eine sehr spannende Geschichte und kommt sehr gut an. Wir haben so unheimlich gutes Feedback gehabt von dieser Geschichte. Es ist wirklich toll. Dieser Bär begleitet uns in Wien und Salzburg durch das ganze Haus. Er wird ein „Symbol“ für uns. Wir haben ihn jetzt schon mal zum Test animiert. Der Bär, wie er sich durch das Haus bewegt. Man kann da wunderbare Dinge machen. Da wir natürlich auch sehr fokussiert sind auf die Zukunft und die nächste Generation, die Kinder.
Michael Sicher: Im Hotel Sacher gibt es unzählige Fotos von Ihren Gästen. Sie sind ja unzähligen Prominenten und „Reichen und Schönen“ begegnet. Was haben Sie in Ihren 28 Jahren hier persönlich aus diesen Begegnungen mitgenommen?
Reiner Heilmann: Es sind immer wieder tolle Begegnungen, muss ich ganz ehrlich sagen. Aus Wirtschaft, Politik und sehr, sehr viel aus Kunst. Grundsätzlich ist es so, dass es zu meinen Aufgaben gehört, auch diese Gäste willkommen zu heißen, zu verabschieden und auch zwischendurch zu betreuen, was eine sehr, sehr schöne Aufgabe ist. Aber es ist ein Teil des Ganzen und immer etwas ganz Tolles. Man weiß, der oder diese Persönlichkeit reist an. Da hast du was gehört und kennst ihn aus dem Film, aus dem Schauspiel.
Für unsere Mitarbeiter ist es auch ganz wichtig, dass es ganz „normal“ abläuft. Weil das ist, glaube ich, auch ein wesentlicher Punkt, warum diese Gäste zu uns kommen. Weil sie einfach in Ruhe gelassen und respektiert werden. Es ist sowieso selbstverständlich, dass sehr diskret umgegangen wird. Aber es ist immer schon eine besondere Begegnung, muss ich ganz ehrlich sagen. Es gibt ganz unglaubliche Filmgrößen. Was ich so gelernt habe: Je größer der Namen ist und gewachsener die Struktur, desto unscheinbarer ist dieser Künstler. Ja, meistens. Künstler, die so gepusht werden, sich selbst so in Szene setzen, wie soll ich sagen, die spüren sie mehr. Die ganz großen Namen, die sind so dezent, so unscheinbar.
Aber es ist toll und faszinierend. Und es kochen alle nur mit Wasser. Das hat man auch gelernt. Es ist schön, es bereichert natürlich ein Haus. Es ist für uns eine tolle Anerkennung, wenn der- oder diejenige dann bei uns wohnt, isst. Dann ist das schon ganz wunderbar und auch speziell. Das lockert den Tag wesentlich auf.
Michael Sicher: Das Hotel Sacher steht in einer gewissen Weise auch für Luxus. Was bedeutet Ihnen persönlich Luxus?
Reiner Heilmann: Also Luxus für mich ist in erster Linie Zeit. Ja, Luxus ist für mich nicht irgendetwas, wie Gold oder Wertsachen, sondern Werte in einer anderen Form. Nicht materiell. Aber Zeit ist für mich ein Luxus. Zeit und Raum. Sich frei bewegen zu können finde ich auch Luxus, sowie Reisen und Kulturen kennenzulernen.
Michael Sicher: Wie ist das, wenn Sie als Hoteldirektor reisen und Sie kommen in ein anderes Hotel? Ich kenne das von mir, ich schaue dann trotzdem genauer hin und mir fällt auf, wenn etwas nicht passt. Wie ist das bei Ihnen?
Reiner Heilmann: Das kann sowohl als auch sein. Grundsätzlich schaue ich natürlich genau, man lernt ja immer. Man lernt, was andere gut machen und was andere nicht gut machen. Also finde ich das Reisen grundsätzlich einmal spannend. Wenn man in Häusern ist, die ähnlich sind, schaut man natürlich ganz besonders, was sie besonders gut oder was sie weniger gut können. Man vergleicht sich in den verschiedenen Abteilungen, was man besser machen kann.
Dann gibt es aber Reisen privater Natur. Ich brauche jetzt nicht persönlich diesen Luxus jeden Tag um glücklich zu sein. Ich reise privat auch gerne so, aber ich kann in Hütten wunderbare Urlaube machen und bin der glücklichste Mensch auf Gottes Erden. Ich brauche nicht dieses Ambiente um bestehen zu können. Viele glauben, man lebt den ganzen Tag in dieser Atmosphäre. Man ist zwar viel am Tag hier, aber ich brauche es nicht um glücklich zu sein. Überhaupt nicht. Das ist auch ganz wichtig, sonst lebt man irgendwie in einer Scheinwelt.
Aber wenn ich auf Geschäftsreise bin und in ähnlichen Häusern wohne, schaue ich natürlich ganz besonders, wie diejenigen dies und das machen. Was kann man da lernen? Ich finde – und das finde ich ganz wichtig –, dass sich das Reisen auch verändert hat. Gäste, die früher immer im Luxusbereich gereist sind, reisen heute auch in anderen Segmenten. Es gibt so viele tolle Häuser, Boutique-Häuser, kleinere Häuser, die sehr individuell sind, die sehr flexibel sind, die sehr innovativ sind, wo man sehr viel lernen kann. Auch in den Restaurants. Das ist schon ein ganz großer Faktor, dass man über die eigene Kategorie hinaus sehr viel lernt. Das ist ganz wichtig.
Da hat sich etwas geändert. Früher waren die Gäste immer nur in dem Segment zu Hause. Heute gehen sie genauso gut in kleine Häuser, die auch gut sind. Haben nicht fünf Sterne, aber sind individuell, haben sich gar nicht kategorisieren lassen. Diese Wechselwirkung finde ich unglaublich spannend, unglaublich wichtig. Es ist auch gut, dass das Ganze aufbricht. Man muss nicht nur im Luxussegment essen. Unsere Gäste gehen genau so gerne einmal einen Abend in ein gutes Gasthaus oder sonst irgendwo hin, wo sie auch gut essen, aber ein anderes Ambiente haben. Und das ist richtig und gut so. Man kann nicht verlangen, dass man jeden Tag in dieser Atmosphäre ist und umgekehrt.
Es gibt Geschäftsgäste, die bei uns wohnen, privat das aber nie tun würden. Die würden dann in einem anderen Hotel, in einem günstigeren Segment sein. Und es gibt Gäste, die bei uns nur privat wohnen würden, geschäftlich dies aber nicht dürfen, weil das Budget es nicht erlaubt, oder die Vorgabe eine andere ist. Das ist legitim, finde ich wunderbar. Die Zeit ist vorbei. Der muss man sich stellen. Wenn ich sehe, wie früher Mittagessen abgelaufen sind, hier und in anderen Häusern ähnlich: Da hatte man Zeit, da waren Business-Essen über Stunden, da wurden Weine getrunken. Dafür hat heute keiner mehr Zeit. Zu trinken traut sich keiner mehr. Dann haben alle ihre Budgets. Das hat sich drastisch geändert. Und das ist in Ordnung, das ist eine neue Herausforderung. Wenn man es nicht gleich immer so toll findet, man muss damit klar kommen.
Michael Sicher: Wenn sie sagen, Gäste gehen auch in andere Restaurants, welche würden Sie ihnen empfehlen? Wo gehen Sie privat gerne essen in Wien?
Reiner Heilmann: Das ist eine ganz schwere Frage. Ich gehe grundsätzlich immer in viele verschiedene Restaurants, weil ich immer irgendwas Neues erleben will. Es gibt nur ein Stammlokal, wo ich gerne hingehe. Das ist das Steirerstöckl in Pötzleinsdorf. Das ist angenehm von der Atmosphäre, da ist ein etwas rustikales Ambiente, das ist draußen so wie drinnen einfach immer gemütlich und die Küche ist hervorragend. Aber sonst ein wirklich fixes Restaurant, wo ich gerne hingehe? Das Steirereck zum Beispiel. Aber da bin ich nicht ständig. Das Steirereck in Wien steht für mich oben drüber. Das ist einfach ein einzigartiges Erlebnis, abgesehen von der unglaublichen Qualität. Aber sonst versuche ich möglichst immer, viele Restaurants kennenzulernen und nehme aus jedem Restaurant irgendwelche Gedanken mit. Was gut ist, was nicht gut ist, was einem positiv, negativ aufgefallen ist. Wie die Abläufe sind, Service, Küche und so weiter. Da lernt man. Und das ist mir ganz wichtig. Ich versuche immer neue Locations zu erwischen.
Michael Sicher: Also ist immer wieder Berufliches dabei.
Reiner Heilmann: Ja, wenn man in dem Beruf ist, ist man ja vorbelastet. Man fokussiert automatisch, ob man will oder nicht, also unbewusst oder bewusst. Ich glaube, das gehört einfach dazu, sonst wären wir nicht in dem Beruf. Ich kann zwar abschalten, den Abend wunderbar genießen, aber trotzdem fallen mir Dinge auf. Ohne dem? Das schaffe ich nicht, das kriege ich nicht hin. Alles ausblenden, das schaffe ich nicht wirklich. Aber das ist, glaube ich, ganz okay.
Michael Sicher: Gibt es noch etwas, das Sie erzählen wollen? Vielleicht eine kurze Anekdote? Das werden Sie wahrscheinlich oft gefragt und Diskretion ist ein großes Thema...
Reiner Heilmann: Wissen Sie, ich könnte Ihnen so viel erzählen. Aber das wäre unklug. Dinge, die sehr spannend wären und die man sich nicht vorstellen kann oder besser nicht vorstellen möchte. Die auch witzig sind, wo wir dann lachen, aber wir sie in dem Moment auch vergessen. Da gibt es schon sehr viele interessante, witzige Dinge. Aber dann sagt man einfach: „Vergessen wir es doch besser.“
Ich werde das sehr oft gefragt und denke, irgendwann müsste man alles niederschreiben. Das kann man natürlich nicht. Alles niederschreiben vielleicht, aber nichts damit tun. Und das ist gut so. Es ist die oberste Prämisse eines Hotels, eines Unternehmens, dass man damit nicht hausieren geht. Sonst verliert man die Glaubwürdigkeit und die Gäste würden auch sofort reagieren. Zurecht! Wenn mir etwas passiert oder ich jemanden etwas anvertraue und ein halbes Jahr später kann ich das irgendwo lesen, das wäre undenkbar. Gerade in einem Hotel ist das ein absolutes No-Go.
Ich glaube persönlich, dass der Erfolg – dass wir einen großen Künstleranteil haben, der verhältnismäßig hoch ist – auch darin liegt, dass Gäste und Künstler einfach in Ruhe gelassen werden. Das ist auch für unsere Mitarbeiter selbstverständlich. Sie wissen, da können sie jetzt nicht hingehen oder nach einem Autogramm fragen. Er ist „ein Gast wie jeder andere“. Man respektiert das. Es ist auch gut, dass es sehr familiär zugeht, weil wir nicht so groß sind. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir fallen nicht über einen her, nur damit wir ein Foto erhaschen. Wir fragen während des Aufenthalts, ob er sich verewigen möchte. Auf dem Gästetischtuch oder für die Galerie. Viele fragen, ob sie uns ein Foto für die Galerie geben dürfen. Es ist also oft umgekehrt. Und dann ist es in Ordnung. Aber wenn nicht, ist es auch in Ordnung. Unser Ziel ist es ja nicht, dass wir jetzt einmal ein Foto erhaschen, sondern, dass der Gast wiederkommt. Mit oder ohne Foto ist völlig egal. Darum geht es uns nicht.
Michael Sicher: Wenn ein Gast zum ersten Mal zu Ihnen ins Hotel Sacher kommt und das erste Mal in Wien ist: Was würden Sie ihm empfehlen? Was soll er unbedingt gesehen haben?
Reiner Heilmann: Es gibt kaum einen Gast, der noch nie in Wien war und nicht schon informiert ist über Wien. Die Gäste kommen schon viel kompetenter an, weil sie schon gegoogelt, sich schon alles über das Internet heruntergeladen haben. Man muss erst einmal fragen, wo seine Schwerpunkte sind. Aber ich finde, gewisse Museen sind ein Muss.
Wenn er die Zeit hat und klassische Musik mag, ein Abend im Konzert, in der Oper. Wenn er das nicht mag, muss man ihn damit nicht konfrontieren. Aber ich finde, ein Kunsthistorisches Museum, eine Albertina, das ist ein Pflichtprogramm. Ein Abend in der Oper, im Konzerthaus oder Musikverein auch. Wenn er aber sagt, er mag nur Moderne, dann sucht man da.
Gewisse Kulturgüter oder die Spanische Hofreitschule sind ja alle im Gehbereich. Da brauche ich nicht großartig ins Auto steigen oder wohin fahren. Man ist in fünf Minuten da. In der Oper, da ist man in zwei Minuten. Das ist für mich schon das USP von Wien, dass das alles greifbar ist, dass es gut gepflegt ist.
Oder eine Opernführung, wo einem alles erklärt wird. Das ist schon echt spannend. Ich hab erst letzte Woche Gäste gehabt, die waren schon oft in der Oper, die haben dann eine Opernführung gemacht. Das ist einfach toll und informativ, weil man einfach das alles mit ganz anderen Augen sieht. Diese gewissen Highlights gehören einfach dazu.
Aber da muss man schon vorher fragen: Was weiß er und wo geht die Reise hin, was ist für ihn wichtig? Man muss jetzt nicht jedem alles überstülpen. Für jemand aus dem Antiquitätenbereich ist ein Besuch vom Dorotheum faszinierend. Aber da muss man schon genau sondieren. Wien ist ja mittlerweile sehr breit aufgestellt. In der Klassik sowieso, aber in der Moderne auch.
Michael Sicher: Herzlichen Dank!
Reiner Heilmann: Bitte! Sehr, sehr gerne!